Betriebsfestigkeitsprüfung aktiver Fahrwerkssysteme.

Aktive Federung, aktiver Stabilisator, aktive Hinterradlenkung, Hardware-in-the-Loop Prüfumgebung

Aktive Fahrwerkssysteme können im Fraunhofer LBF bezüglich ihrer Zuverlässigkeit abgesichert werden. (© Audi AG)

Echte aktive Fahrwerkssysteme, d.h. Systeme mit integriertem Aktor zur aktiven Aufbringung von Kräften, Wegen oder Momenten, halten aktuell Einzug in die Fahrzeugmodelle insbesondere der Premiumanbieter: Mit aktiver Hinterradlenkung, aktiven Stabilisatoren und aktiven Federungen gelingt es den Herstellern, den Zielkonflikt zwischen Komfort und Fahrsicherheit zu entschärfen. Speziell bei den immer beliebter werdenden SUV und anderen Fahrzeugen mit hohem Gewicht und einem erhöhten Schwerpunkt lassen sich die Nachteile in der Fahrdynamik durch situative Abstimmung der Fahrzeugperformance deutlich mindern.

Die aktive Anpassung des Fahrwerks auf einem hohen Level an die individuellen Kundenwünsche schafft somit ein echtes Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Aktive Fahrwerkssysteme stellen jedoch zusätzliche Anforderung an den Betriebsfestigkeitsnachweis und die Bewertung der Zuverlässigkeit. Erweiterungen der Prüfumgebung im Labor des Fraunhofer LBF helfen dabei, die hohe Aussagegüte der Betriebsfestigkeitsprüfungen auch unter den neuen Randbedingungen sicherzustellen.

Aktive Fahrwerkssysteme erfordern ein Umdenken in der traditionellen Betriebsfestigkeitsprüfung im Labor. Bereits mit dem Aufkommen adaptiver Dämpfersysteme stellte sich die Frage, welchen Einfluss die mögliche Änderung in den Dämpferkennlinien auf die Belastungen im Fahrwerk hat und daraus resultierend, wie dieser Einfluss beim Betriebsfestigkeitsnachweis des Fahrwerks oder gar des Ganzfahrzeugs auf dem Prüfstand zu berücksichtigen ist.

Untersuchungen im Fraunhofer LBF in den Jahren 2010/2011 zeigten, dass für die Systeme der ersten Generation mit relativ eingeschränkten Variationsmöglichkeiten der Dämpferkennlinie die Wahl einer einheitlichen, harten Dämpfereinstellung in der Betriebsfestigkeitsprüfung ausreichte. Das konservative Vorgehen einer Auslegung/Prüfung mit harter Dämpfereinstellung bedeutete gegenüber einer dynamischen Echtzeitansteuerung keine signifikanten Abweichungen in den Bauteilbelastungen und somit einen guten Kompromiss zwischen Aufwand und Aussagegüte.

Aktuelle und zukünftige aktive Fahrwerksysteme bieten jedoch eine so hohe Anpassungsvarianz, dass ihre Kennlinieneinstellungen/Einstellparameter einen signifikanten Einfluss auf die im Fahrwerk entstehenden Belastungen haben. Das bisherige Vorgehen ist für diese Systeme nicht mehr zielführend. Gefragt sind Lösungen zu zwei grundlegenden Fragestellungen: Zum einen müssen zukünftig auch im Versuch die jeweils zu den Fahrzeugbelastungen passenden Einstellungen und Ansteuersignale für die adaptiven bzw. aktiven Fahrwerkssysteme aufgebracht werden, um die Bauteilbelastungen korrekt zu simulieren. Zum anderen müssen zeitgeraffte Prüfungen für die neuen aktiven Systeme entwickelt werden, wobei im Kontext der Elektromobilität gegebenenfalls auch Hochvoltkomponenten einzubeziehen sind.

Ganzfahrzeugerprobung mit adaptiven Dämpfern.

Hardware-in-the-Loop-Prüfung von aktiven Fahrwerkskomponenten im Fraunhofer LBF.

Ansteuersignale aus Fahrbetriebsmessungen oder Rechenmodellen

Zur Lösung der ersten Fragestellung nutzen Wissenschaftler im Fraunhofer LBF zwei alternative Verfahren: Zum einen ist es möglich, die aktiven Fahrwerkssysteme mit gemessenen Signalen aus Fahrbetriebsmessungen anzusteuern, die mit den ebenfalls aus Messungen stammenden Gesamtsystembelastungen korreliert sind (CAN-/Restbussimulation). Alternativ dazu bietet ein zweites Verfahren die Möglichkeit, die Ansteuersignale für die aktiven Fahrwerkssysteme mit einem Fahrzeugmodell, ggfs. erweitert um ein Modell des Reglers, auf einer Echtzeithardware zu berechnen. Auch hierbei werden die Kräfte, Wege oder Momente der aktiven Systeme angepasst an die sonstigen Systembelastungen wie Fahrsituation, Fahrzeug- und Beladungszustand. Neben einer rein modellbasierten Berechnung aller Systemgrößen lassen sich zusätzlich gemessene Signale von Sensoren einbeziehen, die sich im zu prüfenden System befinden.

Durch das belastungsabhängige Verhalten der aktiven Systeme ergeben sich am Prüfstand Herausforderungen bei der Generierung der finalen Ansteuersignale im Iterationsprozess. Daher werden im LBF virtuelle Abbilder bzw. digitale Zwillinge der Prüfstände und Fahrwerkssysteme genutzt, um bereits im Vorfeld effizient und zielgerichtet konvergierende Iterationsstrategien für die finalen Systemprüfungen zu entwickeln.

1. Integration von numerischen Modellen in Prüfstände mit HIL-Schnittstellen auf leistungselektrischer, mechanischer und Signalebene.   2. Multiphysikalische Echtzeitsimulationen   3. Digitale Zwillinge  4.  Datenbanken und umfangreiche Bewertungen   5. Cloud-Anbindung  

Methodenentwicklung für zeitgeraffte Prüfungen von aktiven Fahrwerkssysteme

Im Kontext der zweiten Fragestellung entwickeln die Experten im Fraunhofer LBF derzeit in Projekten Methoden, um aktive/mechatronische Systeme im Hinblick auf ihre Systemzuverlässigkeit hin zu bewerten und zu prüfen. Mit diesen Methoden können im Fraunhofer LBF aktive oder über einen weiten Bereich adaptierbare Fahrwerkssysteme einem zuverlässigen Betriebsfestigkeitsnachweis unterzogen werden, sowie auch mit aktiven Fahrwerkssystemen ausgerüstete Ganzfahrzeuge geprüft werden. Die Prüfstandssteuerung übernimmt dabei in allen Fällen weiterhin vollumfänglich die Versuchssteuerung mit allen Überwachungs- und Sicherheitsfunktionen.

Kundenutzen

Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer profitieren von diesen Werkzeugen und können im Fraunhofer LBF ihre aktive Fahrwerkssysteme im Hinblick auf deren Zuverlässigkeit abgesichern lassen.

»Die flexibel einsetzbaren Technologien ›Restbussimulation‹ und ›echtzeitfähige Fahrzeugmodelle‹ lassen sich in die etablierten Prüfumgebungen einbinden. Mit diesen Werkzeugen können im Fraunhofer LBF aktive Fahrwerkssysteme im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit abgesichert werden.« Dipl.-Ing. Marc Wallmichrath

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