Optimiertes Spritzgusswerkzeug ermöglicht richtungsabhängige Kennwertbestimmung und zuverlässige Bauteilauslegung.

Simulation, Spritzguss, Industrie 4.0, kurzfaserverstärkte Thermoplaste, Faserorientierung

Schematische Darstellung: Faserorientierung der optimierten Platte in Spritzgussrichtung.

Ein im Fraunhofer LBF optimiertes Spritzgusswerkzeug ermöglicht die Herstellung von kurzglasfaserverstärkten unidirektionalen Platten zur Anfertigung hochorientierter Probekörper unter verschiedenen Entnahmewinkeln. Das Werkzeug wurde so konzipiert, dass die Verstärkungsfasern näherungsweise unidirektional (UD) in Fließrichtung ausgerichtet sind. Die Probekörper für Zugversuche können aus der Platte in jedem beliebigen Winkel zur Fließrichtung entnommen werden, um Parameter für die Materialbeschreibung zu ermitteln. Dies erleichtert die materialgerechte, ressourcenschonende Bauteilauslegung.

Die neue Platte ermöglicht die Herstellung von UD-Probekörpern für Zugversuche. Auf Basis der Versuchsergebnisse lassen sich Materialmodelle fitten. Dies erleichtert die materialgerechte Bauteilauslegung. Durch Ausnutzung der mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs können Bauteile minimalen Gewichts zuverlässig ausgelegt werden, was die Umwelt sowie Ressourcen schont.

Superposition aus Faser und Matrix

Durch die Verstärkung eines thermoplastischen Materials mit Fasern werden die physikalischen Eigenschaften modifiziert: Zugfestigkeit und Steifigkeit werden erhöht sowie die thermische Ausdehnung reduziert [1]. Das Materialverhalten setzt sich aus den Eigenschaften der Fasern und der polymeren Matrix zusammen. Ziel dieser Kombination ist es, einen neuen Werkstoff zu entwickeln, der den Eigenschaften der Einzelkomponenten überlegen ist. Unabhängig vom Faseranteil erreichen faserverstärkte Kunststoffe unter Belastung parallel zur Faserrichtung ein Vielfaches der Festigkeitswerte in Querrichtung.

Die analytische Beschreibung der Superposition aus Faser und Matrix über Ansätze der Mikromechanik ist Gegenstand der Forschung. Detaillierte Kenntnisse über makroskopische, richtungsabhängige Materialdaten werden dringend benötigt. Nach derzeitigem Kenntnisstand existiert kein allumfassendes Model, dass die Effekte der Anisotropie berücksichtigt.
Für die Erfassung der Materialdaten sind Zugversuche unter 0° und 90° zur Fließrichtung unabdinglich. Versuche unter weiteren Winkeln sind für die zuverlässige Modellierung vorteilhaft.

Integrative Simulation

Die in der Kunststoffschmelze enthaltenen Fasern richten sich während des Spritzgießens in der Kavität des Werkzeugs aus. Beim Füllen der Kavität entstehen durch die strömungsinduzierte Verteilung der Verstärkungsfasern und formwandnahe Scherkräfte lokal anisotrope Materialeigenschaften. Der Herstellungsprozess muss somit in die Analyse der mechanischen Eigenschaften bei der Bauteilauslegung einbezogen werden. Die Integrative Simulation, die die Simulation des Spritzgießvorgangs mit der anschließenden FEM-Berechnung verkettet, ist zu einem mächtigen Werkzeug bei der Bauteilauslegung geworden.

Allgemein bilden sich zwei Randschichten und eine Mittelschicht über die Bauteildicke. In den Randschichten sind die Fasern in Fließrichtung der Schmelze orientiert, in der Mittelschicht orthogonal dazu, in Dickenrichtung liegen vernachlässigbar wenige Fasern vor. Über den Orientierungstensor werden die lokalen Faserorientierungen angegeben.

Mikromechanische Ansätze und vorhandene Probekörper

Mit mikromechanischen Modellen können lokal die Anisotropie der Steifigkeit und Festigkeit sowie nichtlineare und dehnratenabhängige Eigenschaften der Matrix und ein Werkstoffversagen durch Matrixversagen, Faserversagen und Faser-Matrix-Ablöseversagen abgebildet werden [2].

Uniaxiale Materialdaten werden sowohl für die mikromechanische Modellierung, als auch für phänomenologische Kriterien benötigt. Für eine materialgerechte Beschreibung des Versagensverhaltens ist es notwendig, Proben mit unidirektionaler Faserausrichtung zu prüfen. Dazu finden verschiedene Probekörper Anwendung. Häufig werden Probekörper aus Platten mit Dreischichtenstruktur unter verschiedenen Winkeln zur Füllrichtung entnommen. Es ist üblich, den Schulterstab (Abb. 1) des Typs 1A aus der DIN EN ISO 527-2, auch bekannt als Campus-Stab, direkt spritz zu gießen. Er weist eine hohe Orientierung und eine Dreischichtstruktur auf, ist jedoch zu schmal für die Entnahme von Proben quer zur Spritzrichtung. Mit einer Dicke von 4 mm ist er kein repräsentatives Spritzgussteil. Materialspezifische Kennwerte für die Modellierung können auf diese Weise nicht eindeutig ermittelt werden. Die Evaluierung des Versagensverhaltens des Materials ist problematisch.

Abb. 1: Schulterstab aus der DIN EN ISO 527-2 Typ 1A.

Abb. 2: Spritzgussteil mit hochorientiertem Prüfbereichen 20 x 80 x 2 [mm] [3].

Abb. 3: UD-Platte mit hochorientiertem Prüfstab 40 x 80 x 2 [mm].

Ein vorhandener Probekörper mit einer hohen Faserorientierung im Prüfbereich ist in Abb. 2 dargestellt. Mit 2 mm Dicke repräsentiert er ein typisches Spritzgussteil. Nachteilig ist auch bei dieser Probekörpergeometrie, dass der Prüfbereich mit einer Breite von 20 mm keine Entnahme von Proben unter 90° erlaubt.

Konzept der UD-Platte

Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass Bedarf an einer UD-Platte existiert, die die Entnahme von Probekörpern orthogonal zur Füllrichtung ermöglicht. Die Erkenntnisse aus Versuchen unter verschiedenen Winkeln an UD-Platten werden helfen, unterschiedliche mikromechanische Modelle und phänomenologische Kriterien zu fitten, zu vergleichen und zu erweitern.

Die UD-Platte (Abb. 3) ist so ausgelegt, dass sie sich an einer Standard-Spritzgussmaschine herstellen lässt. Somit ist sie kostengünstig und auch für KMUs zugänglich. Die Probekörper 1BB oder 5B nach DIN EN ISO 527-2 lassen sich unter jedem beliebigen Winkel zur Fließrichtung entnehmen. So wird die Platte zu einem einfachen Werkzeug zur Ermittlung der Messdaten für die Weiterentwicklung existierender Materialmodelle.

Das Spritzgussteil wird über einen Filmanschnitt gefüllt. Auf diese Weise kann die Schmelze mit einer ebenen Fließfront eingebracht werden. Die Dickenreduzierung beschleunigt die Schmelze, ebenso wie die Querschnittsverjüngung, die den Fasern einen ersten Orientierungsimpuls gibt. Mit vororientierten Fasern läuft die Schmelze in den prüfrelevanten Stab ein und bildet auf Grund von strömungsinduzierten Scherkräften die finale UD-Orientierung.

Experiment: Ermittlung der Faserorientierung 

In Abbildung 4 sind die Faserorientierungen im Mittelpunkt des Prüfbereichs (siehe Abb. 3, roter Punkt in Prüfstabmitte) der UD-Platte dargestellt. Gefüllt wird in x-Richtung, y beschreibt die Breitenrichtung und z die Dickenrichtung. Eine ausgeprägte Mittelschicht liegt dann vor, wenn der Hauptteil der Fasern (> 50%) in y-Richtung liegt. Dies ist hier eindeutig nicht der Fall. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Faserorientierung in Füllrichtung zwischen 0,89 und 0,78 liegen. In y- und z-Richtung liegen maximal 11% Fasern vor.

Abb. 4: Faserorientierung im Mittelpunkt des Prüfstabs der UD-Platte.

Abb. 4: Faserorientierung im Mittelpunkt des Prüfstabs der UD-Platte.

Kundennutzen

Die neue Probekörpergeometrie wird winkelspezifische Materialkennwerte liefern. So kann die Materialmodellierung optimal angepasst werden und der Kunde gewinnt beim Auslegen eines neuen Bauteils Präzision und Wettbewerbsvorteile.

Literaturangaben

[1] Schoßig, M., Grellmann, W. u. Mecklenburg, T.: Characterization of the fracture behavior of glass fiber reinforced thermoplastics based on PP, PE-HD, and PB-1. Journal of Applied Polymer Science 115 (2010) 4, S. 2093 – 2102

[2] Nutini, M. u. Vitali, M.: Interactive failure criteria for glass fibre reinforced polypropylene: validation on an industrial part. International Journal of Crashworthiness 37 (2017) 1971, S. 1 – 15

[3] Amberg, J.: Ermittlung temperaturabhängiger anisotroper Stoffwerte für die Spritzgießsimulation. AiF Research Report 13220 N, Deutsches Kunststoff-Institut DKI, Darmstadt (2004)

»Die Ermittlung der winkelabhängigen Kennwerte ist auch im Hinblick auf Umweltschutz wichtig. Denn Bauteile, die im frühen Konstruktionsstadium schon zuverlässig ausgelegt werden, können mit minimalem Gewicht und Materialeinsatz entwickelt werden – das schont Ressourcen!« Tamara van Roo, M. Eng.

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